: Die Revolution als Schwester des Krieges. Deutungen und Wahrnehmungen von Lutheranern im Elsaß in der Zeit der Französischen Revolution und des napoleonischen Empires (1789-1815). Münster 2011 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12801-5 316 S.

: Die Zentralschweiz in der Helvetik (1798–1803). Kriegserfahrungen und Religion im Spannungsfeld von Nation und Region. Münster 2011 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12800-8 408 S.

: Die Pfarrer und der Umbruch. Reformierte Wahrnehmung und Deutung von Krieg und Nation in der Waadt und in Zürich während der Helvetik (1798–1803). Münster 2009 : Aschendorff Verlag, ISBN 978-3-402-12784-1 210 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
David Luginbühl, Seminar für Allgemeine und Schweizerische Zeitgeschichte, Universität Freiburg i. Ü.

Die Französische Revolution und die darauf folgenden europäischen Kriege wurden von Zeitgenossen sehr früh als tiefgreifende Zäsuren, als Epochenwenden beschrieben. Gerade für die Kirchen als Institutionen bildeten sie teilweise traumatische Einschnitte. Dass sich aber aus religionshistorischer Perspektive der Blick auf Kontinuitäten lohnt, zeigen die drei Studien von Donatus Düsterhaus, Eric Godel und Laure Ognois. Sie nähern sich der Umbruchs- und Kriegszeit um 1800 aus einer erfahrungsgeschichtlich orientierten Perspektive an und fragen insbesondere nach der Persistenz religiöser Deutungs- und Sinnstiftungsangebote. Die Dissertationen entstanden im Rahmen des Tübinger Sonderforschungsbereichs
437 «Kriegserfahrung – Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit» und wurden von Prof. Dr. Anton Schindling betreut. Mit dem Elsass, Zürich und der Waadt sowie der Region Zentralschweiz decken sie vier konfessionell, sprachlich und politisch unterschiedlich strukturierte Erfahrungsräume ab, die auch in unterschiedlicher Weise von Revolution und Krieg betroffen waren. In der Zusammenschau ergeben sich damit interessante Vergleichsmöglichkeiten, die eine Sammelrezension nahe legen.

Die Studie von Donatus Düsterhaus umfasst mit den Jahren 1789–1815 den längsten Zeitraum und untersucht mit den Lutheranern im Elsass eine religiöse Minderheit, die in einer ersten Phase von den Reformen der Nationalversammlung von 1789 zweifellos profitierte. Vor der Revolution waren für Nichtkatholiken zahlreiche Ämter nicht oder nur beschränkt zugänglich gewesen, nun stellten die Lutheraner mit Friedrich de Dietrich den ersten gewählten Bürgermeister von Strassburg. Die Religionsfreiheit löste das bisher geltende Simultaneum ab, welches in der Praxis mit Nachteilen für die Lutheraner verbunden gewesen war. Auch blieben die Lutheraner im Gegensatz zu den Katholiken von den nachrevolutionären Säkularisationen verschont. Vor diesem Hintergrund erstaunt wenig, dass sich der Grossteil der Prediger und Pastoren für die neue Ordnung engagierte und die neue Verfassung teilweise mit der Vorsehung in Verbindung brachte. Ein überkonfessionell ausgerichteter und sakralisierter Patriotismus, welcher der Religion gerade im Hinblick auf die Erhaltung von Ordnung, Einheit und Bürgersinn in einer turbulenten Zeit eine entscheiden Rolle zuerkannte, kann nach Düsterhaus als dominant eingestuft werden. Der Eid auf die Verfassung von 1791 bereitete den Lutheranern keine Probleme. Erst die Radikalisierung der Revolution veränderte die Situation. Die Schilderung der Dechristianisierungspolitik im Raum Elsass, vielleicht am besten versinnbildlicht durch die vier Meter hohe rote Mütze aus Blech, die auf der Spitze des Strassburger Münsterturms angebracht wurde, gehört zu den eindringlichsten Teilen der Studie. In den wenigen noch erlaubten Predigten dominierte das Motiv der Prüfung, in der Rückschau dann vor allem jenes der göttlichen Vorsehung. Die «Terreur», so diese Lesart, erhielt ihren Sinn als Ansporn zu mehr Gottvertrauen und Gottesfurcht.

Die weitgehend chronologisch aufgebaute Studie von Düsterhaus thematisiert in der Folge die Haltung der elsässischen Lutheraner im Kontext des einsetzenden Napoleonkults. Der neue Herrscher wurde vielfach bereits vor den staatlich verordneten Feierlichkeiten zum Werkzeug der Vorsehung und Friedensstifter der Menschheit stilisiert. Die Organischen Artikel von 1802 führten zu einer Hierarchisierung und zugleich Zentralisierung der lutherischen Kirche im Elsass und kappten die noch verbliebenen Bindungen zum Alten Reich. Vor allem aber legten sie die Basis für eine stärkere staatliche Kontrolle und Instrumentalisierung der Kirchen. Das Kultusministerium in Paris griff in der Folge mit Rundpredigten und der Verordnung von Gedenkfeiern massiv in das Predigtwesen ein. Düsterhaus hebt hervor, dass diese Eingriffe nur sehr begrenzt auf Widerstand stiessen und erklärt diesen Umstand nicht zuletzt mit dem lutherischen Staatsverständnis, welches die Akzeptanz dieser staatlichen Instrumentalisierung gefördert habe.

Die Studie von Laure Ognois zur Geistlichkeit in den reformierten Regionen Waadt und Zürich beschränkt sich zeitlich auf die Jahre der Helvetik (1798–1803). Das Waadtland, bis 1798 bernisches Untertanengebiet, wurde in dieser Zeit als Kanton Léman in den helvetischen Einheitsstaat integriert und verbuchte damit einen Souveränitätsgewinn. Im Falle Zürichs bedeutete die Helvetik in erster Linie einen deutlichen Machtverlust des städtischen Patriziats im Vergleich zur Landschaft. Der Aufbau der Studie orientiert sich an drei von Ognois unterschiedenen Wahrnehmungskategorien: einer konterrevolutionären und einer pro-revolutionären für die Waadt und einer in Zürich dominierenden gemässigt- liberalen. Entlang dieser Kategorien analysiert die Autorin in einem ersten Teil die Kriegsdeutungen der untersuchten Pfarrer und in einem zweiten Teil die korrespondierenden Nationalverständnisse sowie die jeweiligen Feind-, Freund- und Selbstbilder.

Im Folgenden soll nur kurz auf die Ergebnisse zur Waadt eingegangen werden, in welcher Revolution und Krieg die Geistlichkeit spalteten. Berntreue und damit konterrevolutionäre Pfarrer hoben die französische Fremdherrschaft als wesentliches Kennzeichen des Umbruchs hervor und deuteten diese vornehmlich als göttliches Strafgericht und Vorbote der Apokalypse und des Weltgerichts. Die Franzosen erschienen in Predigten als Vernichter der Kirche, barbarische Eroberer, Napoleon seinerseits als apokalyptische Gestalt. Die Mehrheit der untersuchten Waadtländer Pfarrer hingegen vermittelte ein Bild der Grande Nation als fürsorglicher grosser Bruder, welcher sich für die Eidgenossen einsetzte und die Befreiung der Waadtländer vom Joch der mit Ägyptern verglichenen Berner unterstützte. Die pro-revolutionären Pfarrer agierten als Vermittler eines sakralisierten waadtländischen und helvetischen Patriotismus und rechtfertigten die waadtländische Revolution, das Ende der Untertanenschaft und die Abschaffung von Privilegien als Rückkehr zur göttlichen Ordnung auf Erden, nach der alle Menschen Brüder und gleich vor dem Herrn seien. Das demokratische, republikanische Modell der Helvetischen Republik deuteten sie im Anschluss an die calvinistische Tradition als Wiederbelebung des biblischen Modells der Republik von Jerusalem. Gerade diese stark religiöse Aufladung pro-revolutionärer Revolutions- und Kriegsdeutungen, die nicht nur die neue Ordnung legitimierten, sondern vor allem auch auf die Notwendigkeit religiöser Fundamente für die neue Republik hinwiesen, sind mitunter die interessantesten Stellen des Buches.

Die Studie von Eric Godel schliesslich konzentriert sich auf die Zentralschweiz und damit auf eine konfessionell homogene, sozio-ökonomisch und politisch-institutionell jedoch durchaus heterogene Region. Besonders hervorzuheben ist dabei das Spannungsverhältnis zwischen einem patrizisch geprägten Stadtstaat (Luzern) und den ländlichen Landsgemeindekantonen, die zum Zentrum des antihelvetischen Widerstands wurden und dementsprechend stark von den Auswirkungen der Revolutionskriege betroffen waren.

Godel differenziert grob zwischen einer pro-helvetischen Deutung der Umbrüche als unergründlichen Ratschluss Gottes und den damit implizierten Haltungen: Passivität und Gehorsam gegenüber den neuen Obrigkeiten – eine Deutung, welche sich vor allem auf die Stadt Luzern beschränkte – und antihelvetischen Deutungen, die auf der Landschaft und hier insbesondere in den Landsgemeindekantonen dominierten und das Motiv des Strafgerichts favorisierten. Ein besonderes Augenmerk richtet Godel auf die Kapuziner, welche innerhalb der Gruppe der antihelvetischen Geistlichen eine zentrale Stellung einnahmen. Die bereits vor der Helvetik bestehende, sich gegen die aufgeklärten Kirchenreformen richtende Allianz zwischen Landbevölkerung und romtreuem Klerus mit den Kapuzinern an der Spitze wurde im Zuge des Widerstands gegen den helvetischen Einheitsstaat gestärkt.

Zwei Punkte sind bei der Studie von Godel speziell hervorzuheben. Erstens gelingt es dem Autor auf der Basis eines sehr breiten Quellenkorpus, der insbesondere auch die zahlreich vorhandenen «Stimmungsberichte» der helvetischen Beamten umfasst, auch solche Wahrnehmungsmuster aufzuzeigen und zu analysieren, welche in Predigten und Selbstzeugnissen von Geistlichen nicht auftauchen, in den unteren Gesellschaftsschichten aber sehr wohl eine bedeutende Rolle spielten und von Geistlichen, hier insbesondere den Kapuzinern, geduldet oder auch gefördert wurden. Angesprochen sind damit vor allem millenaristische und chiliastische Deutungen der Helvetik. Zweitens zeigt die Studie die Virulenz konfessionalisierter Feindbilder auch in einer durchwegs homogen-katholischen Region. Ein Grossteil der ländlichbäuerlichen und unterbürgerlichen Gesellschaftsschichten, aber auch Teile der konservativen Geistlichkeit grenzten jene Katholiken, die sich für die Helvetische Republik aussprachen, als «Ketzer» und «Häretiker» aus. Godel zeigt auf, wie diese «konfessionelle Stigmatisierung des inneren Feindes» mit stark konfessionell aufgeladenen Vaterlandsvorstellungen aus der Zeit der Glaubenskriege zusammenhingen, welche in der Umbruchszeit um 1800 breit mobilisiert werden konnten. Mit der anschliessenden präzisen Aufschlüsselung der zeitgenössischen Vaterlandsvorstellungen und der Analyse der verschiedenen Freiheitskonzepte leistet Godel einen wichtigen Beitrag zum besseren Verständnis der antihelvetischen Widerstände, aber auch der religiösen Dimension prohelvetischer Fortschritts- und Einheitsvorstellungen.

Die drei Einzelstudien leisten einen je eigenen Beitrag zur Analyse religiöser Deutungsmuster zur Sinnstiftung in einer Zeit des Umbruchs in den jeweiligen Regionen. Darüber hinaus und in der Zusammenschau vermitteln sie das Bild äusserst binnendifferenzierter, stark regional inkulturierter religiöser und konfessioneller Deutungskulturen um 1800. Revolution, Krieg und Nation wurde auf pro- wie aus gegenrevolutionärer Seite in heilsgeschichtliche Narrative eingebettet und dadurch legitimiert oder delegitimiert. Dies verdeutlicht, wie wenig ein undifferenziertes Gegensatzmodell von säkularem Revolutionsnationalismus und kirchlich-religiösem Widerstand den zeitgenössischen Umbruchswahrnehmung gerecht wird.

Zitierweise:
David Luginbühl: Rezension zu: Donatus Düsterhaus, Die Revolution als Schwester des Krieges. Deutungen und Wahrnehmungen von Lutheranern im Elsass in der Zeit der Französischen Revolution und des Napoleonischen Empires (1789–1815), Münster, Aschendorff Verlag, 2011, 316 S. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 106, 2012, S. 709-712.